Infektionen durch Pneumokokken (Streptococcus pneumoniae)
Vielfältiges Spektrum – von der Normalflora bis zur Sepsis
Pneumokokken Diagnostik
Der direkte Erregernachweis (Kultur) steht bei Pneumokokken-Infektionen im Vordergrund. Dafür eignen sich je nach Infektfokus unterschiedliche Materialien:
- Die Entnahme von Blutkulturen ist fast in jedem Fall sinnvoll und sollte insbesondere bei Verdacht auf eine invasive Infektion immer erfolgen.
- Pneumonie (Erreger in ca. 40 – 50 % der Fälle Pneumokokken, auch akute Exazerbationen einer COPD): Atemwegssekret (je tiefer, desto besser – BAL oder geschützte Bürste sind ideal, Sputum am ungünstigsten), bei parapneumonischem Erguss auch Pleurapunktat, zusätzlich Blutkulturen
- Meningitis (Erreger in ca. 60 % der Fälle Pneumokokken): Liquor (bei negativer Kultur ist auch ein Nachweis mittels panbakterieller 16S-rDNA-PCR möglich), zusätzlich Blutkulturen
- Sepsis (Erreger in knapp 10 % der Fälle Pneumokokken): Blutkulturen, zusätzlich Material vom vermuteten Infektfokus (z. B. BAL, Liquor)
- Sinusitis (Erreger in ca. 40 % der Fälle Pneumokokken): Abstrich aus dem mittleren Nasengang
- Otitis media (Erreger in ca. 25 % der Fälle Pneumokokken): in bestimmten Fällen (z. B. bei Mastoiditis, schwer kranken Patienten, Neugeborenen, Therapieversagen, Immunsuppression/-defekt) Flüssigkeit aus einer Tympanozentese
Ein möglichst rascher Transport ins Labor ist erforderlich, da Pneumokokken relativ empfindliche Bakterien sind und bereits nach wenigen Stunden schlechter anzüchtbar sind.
Antikörperbestimmungen im Serum sind zur Diagnostik von Pneumokokkeninfektionen ungeeignet (Indikation ausschließlich im Rahmen der Abklärung von Immundefekten sowie Impferfolgskontrolle bei Immunsuppression).
Immunität
Die Immunität gegen Pneumokoken ist Typ-spezifisch (91 Kapseltypen) und im Wesentlichen durch Antikörper vermittelt. Sie kann durch Kolonisation, Infektion oder Impfung erworben werden. Die Milz hat eine wesentliche Bedeutung in der Abwehr invasiver Infektionen "overwhelming postsplenectomy infection" (englisch) = OPSI wird häufig durch Pneumokokken verursacht).
Therapie
- In der Regel sollte mit einem β-Laktam-Antibiotikum behandelt werden.
- Bei ambulanten Patienten können neben Amoxicillin auch Amoxicillin+Clavulansäure, Ampicillin+Sulbactam (Sultamicillin), Cefuroxim(-Axetil), Cefpodoxim, Doxycyclin und neuere Fluorchinolone (Levofloxacin, Moxifloxacin) für die kalkulierte Therapie eingesetzt werden. Vor dem Einsatz von Penicillin V oder Makroliden (z. B. Clarithromycin) sollte ein sensibles Ergebnis in der Resistenztestung vorliegen.
- Bei stationären Patienten kommt neben den bei leichteren Verläufen ebenfalls eingesetzten o. g. Medikamenten eine intravenöse Therapie mit β-Laktam-Antibiotika in Betracht. Bei Pneumonien erfolgt die kalkulierte Therapie häufig mit 1x2 g Ceftriaxon, alternativ können 3x2 g Cefotaxim, 3x1,5 g Cefuroxim, 4x2 g Ampicillin oder 4x5 Mio. IE Penicillin G verwendet werden. Nach Erhalt eines sensiblen Ergebnisses für Penicillin in der Resistenztestung kann in der Regel auf 4x3 Mio. IE Penicillin G deeskaliert werden. Penicillin-resistente Isolate (in Deutschland bisher sehr selten, knapp 10 % der bei uns angezüchteten Stämme invasiver Infektionen sind allerdings intermediär sensibel) können z. B. mit Ceftriaxon±Vancomycin, Moxifloxacin oder Linezolid behandelt werden.
- Für die Behandlung der Pneumokokken-Meningitis eignet sich am besten Cefotaxim (3x2 g), alternativ auch Ceftriaxon (1x2 g).
- Bei schwer verlaufenden Pneumokokken-Infektionen kommt nach vorläufigen Studienergebnissen eine Kombinationstherapie aus β-Laktam-Antibiotikum (z. B. Cefotaxim) und Makrolid in Betracht, diese ist möglicherweise mit einer höheren Überlebensrate assoziiert.
- Die Therapiedauer beträgt bei Pneumokokken-Infektionen in der Regel 5-10 Tage (bzw. weitere 3-5 Tage nach Entfieberung).
Infektiosität
Erkrankungen durch Pneumokokken geht in der Regel eine Kolonisation im oberen Respirationstrakt voraus. Dieser folgt dann in einigen Fällen eine lokale und noch seltener eine invasive Infektion. Aus diesem Grund sind klassische infektiologische Kenndaten wie Inkubationszeit und Infektiosität nur schwer zu ermitteln. Es kann aber davon ausgegangen werden, dass Patienten mit floriden, unbehandelten respiratorischen Pneumokokkenerkrankungen infektiös sind. Pneumokokken sind gegenüber einer Antibiotikatherapie äußerst empfindlich, so dass die Infektiosität – ähnlich wie bei β-hämolysierenden Streptokokken – wahrscheinlich bereits 24 Stunden nach Beginn einer wirksamen antibiotischen Therapie nicht mehr gegeben ist. Nosokomiale Ausbrüche sind dennoch beschrieben.
Meldewesen
Laut Infektionsschutzgesetz sind durch Pneumokokken verursachte Erkrankungen in Deutschland nicht meldepflichtig. Einige Bundesländer haben per Landesverordnung eine Meldepflicht (überwiegend für invasive Infektionen) eingeführt:
- Labormeldepflicht in: Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen und Sachsen-Anhalt, Brandenburg
- Klinische Meldepflicht für Meningitiden: in Sachsen
In den übrigen Bundesländern ist die Surveillance invasiver Infektionen freiwillig (Pneumoweb, Nationales Referenzzentrum für Streptokokken an der RWTH Aachen). Von unserem Labor werden – wenn möglich – alle Isolate aus Blutkulturen und Liquores in die Pneumoweb-Datenbank eingepflegt sowie an das Nationale Referenzzentrum verschickt.
Eine klinische Meldepflicht besteht derzeit dementsprechend nur in Sachsen und nur für Meningitis-Fälle.
Klinik
Lediglich die Lobärpneumonie weist ein relativ spezifisches klinisches bzw. radiologisches Bild auf. Bei den übrigen Manifestationen von Pneumokokkeninfektionen (z. B. Pneumonie, Meningitis, Sepsis, Otitis media, Sinusitis) ist eine klinische Abgrenzung von anderen bakteriellen Erregern kaum möglich.
Besonderheiten
- bei Immunsuppression: höheres Risiko für invasive Infektion (ca. 30 % der Betroffenen sind immunsupprimiert)
- bei Schwangerschaft: keine
Pneumokokken Impfempfehlungen
- Gut wirksame Konjugatimpfstoffe sind insbesondere für die Anwendung bei Kindern etabliert und dringend anzuraten. Derzeit wird von der STIKO ein Schema mit vier Impfungen (im Alter von 2, 3, 4 und 11-14 Monaten) allgemein empfohlen, dieses könnte bei sinkendem Infektionsdruck zukünftig auf ein Schema mit drei Impfungen vereinfacht werden (dieses ist für beide Konjugatimpfstoffe bereits ab einem Alter von 2 Monaten zugelassen, bei späterem Impfbeginn verringert sich die Zahl der Injektionen ohnehin). Auf dem Markt sind ein 13valenter und ein 10valenter Konjugatimpfstoff. Der 13valente Impfstoff ist bei höherem Preis aus theoretischer Sicht besser für die Impfprophylaxe invasiver Pneumokokkeninfektionen geeignet, da zwei der darin im Unterschied zum 10valenten Impfstoff enthaltenen Serotypen auch in Deutschland zirkulieren und bei Kindern invasive Infektionen verursachen (3 und 19A).
- Für Kinder ab dem vollendeten 2. Lebensjahr sowie junge Erwachsene handelt es sich bei der Pneumokokken-Vakzine um eine Indikationsimpfung (z. B. bei angeborener und erworbener Immunschwäche, chronischen Krankheiten wie Diabetes, COPD und chronischen Nierenkrankheiten, Details siehe STIKO-Empfehlungen). Hier kommen je nach genauer Situation die Konjugatimpfstoffe und/oder der 23valente Polysaccharidimpfstoff in Betracht.
- Allgemein empfohlen ist die Polysaccharidimpfung für Senioren ab 60 Jahren. In der Regel wird nur eine einmalige Impfung im Alter von 60 Jahren verabreicht, Auffrischungen erfolgen nur bei ganz bestimmten Indikationen.
Folgende Pneumokokken-Serotypen sind in den jeweiligen Impfstoffen enthalten (in den unteren beiden Zeilen jeweils der Anteil des Serotyps an den invasiven Infektionen):
Serotyp | 1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6A | 6B | 7F | 8 | 9N | 9V | 10A | 11A | 12F | 14 | 15B | 17F | 18C | 19A | 19F | 20 | 22F | 23F | 33F |
23valent | X | X | X | X | X | X | X | X | X | X | X | X | X | X | X | X | X | X | X | X | X | X | X | |
13valent | X | X | X | X | X | X | X | X | X | X | X | X | X | |||||||||||
10valent | X | X | X | X | X | X | X | X | X | X | ||||||||||||||
0-15 J. (%) | 12 | 7 | 3 | 10 | 2 | 7 | 3 | 10 | 6 | 2 | ||||||||||||||
ab 16 J. (%) | 8 | 13 | 1 | 10 | 3 | 5 | 1 | 7 | 3 | 3 |
(Quellen: Fachinformationen der Hersteller sowie Pneumoweb)
Epidemiologie
Pneumokokken-Infektionen treten ganzjährig mit Höhepunkt im Winter (Januar) auf, das Minimum liegt im August. Der Erreger ist weltweit verbreitet, wobei die Verteilung der Serotypen, die invasive Infektionen verursachen, sich regional leicht unterscheidet. Letztere treten am häufigsten bei Kindern unter zwei Jahren und Erwachsenen über 65 Jahren auf.
Mikrobiologie
Pneumokokken (Trivialname, korrekte Speziesbezeichnung: Streptococcus pneumoniae) sind grampositive Kokken aus der Familie der Streptococcaceae. Neben den übrigen Streptokokken sind sie auch mit der Familie der Enterokokken eng verwandt. Mikroskopisch sind Pneumokokken häufig in Form von Diplokokken gelagert (z. B. im Liquor oder Sputum), können in nährstoffreichen Lösungen (z. B. Blutkulturen) aber auch längere Ketten bilden. Insbesondere die Abgrenzung von Enterokokken gelingt in Blutkulturen häufig nicht, da diese ebenfalls meist in Pärchen und kurzen Ketten auftreten.
Kulturell erscheinen Pneumokokken als vergrünende Streptokokken (α-Hämolyse auf Schafblutagar), die neben der Koloniemorphologie durch die Kriterien der Optochin-Empfindlichkeit, der Desoxycholat-Löslichkeit und der Agglutination mit spezifischen Antiseren von anderen Arten abgegrenzt werden. Eine eindeutige Unterscheidung von Streptococcus mitis und Streptococcus oralis ist aber nicht immer möglich.
Literatur:
- Musher DM: „Streptococcus pneumoniae“ in Mandell GL, Benett JE & Dolin R: „Principles and practice of infectious diseases“, 7. Auflage 2010, Churchill Livingstone Elsevier Philadelphia
- Reinert RR: „Streptococcaceae“ in Neumeister B, Geiss HK, Braun RW & Kimmig P: „Mikrobiologische Diagnostik“, 2. Auflage 2009, Georg Thieme Verlag Stuttgart
- Johnson HL, Deloria-Knoll M et al.: „Systematic Evaluation of Serotypes Causing Invasive Pneumococcal Disease among Children Under Five: The Pneumococcal Global Serotype Project“, PLoS Medicine 2010; 7(10): e1000348, doi:10.1371/journal.pmed.1000348, PDF
- Werno AM & Murdoch DR: „Medical microbiology: laboratory diagnosis of invasive pneumococcal disease“, Clinical Infectious Diseases 2008; 46(6): 926-32, PDF