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Deutsches Ärzteblatt Jg. 120, Heft 17, 28.04.2023
Weizen-Unverträglichkeiten
Getreide-assoziierte Erkrankungen sind derzeit vielfach diskutiert. Für die Zöliakie und die klassische Weizen-Allergie gibt es klare Definitionen und Vorgaben zur Diagnosesicherung.
Auf dem weiten Gebiet der übrigen Getreide-Unverträglichkeiten unklarer Genese dagegen sind derzeit keine eindeutig abgrenzbaren Pathomechanismen bekannt. Allen gemeinsam sind die typischen, aber unspezifischen Beschwerden wie Durchfall, Völlegefühl und/oder Unterbauchschmerzen.
Zöliakie
Für die Zöliakie konnte ein konkreter Pathomechanismus bestehend aus glutenhaltiger Nahrung, einer bestimmten HLA-Konstellation und einer erhöhten T-Zell-Aktivität, verbunden mit der Bildung von anti-Transglutaminase-Antikörpern, identifiziert werden. Die Diagnostik umfasst den Nachweis der Autoantikörper (anti-Transglutaminase-IgA-Antikörper) einschliesslich der Messung des Gesamt-IgA sowie im Fall einer positiven Serologie zumeist die histopathologische Bestätigung.
Klassische Weizenallergie vom Sofort-Typ (Typ I, IgE-assoziiert)
Die Auslöser einer Weizenallergie sind verschiedene Proteinbestandteile des Weizens. Von der Weizenallergie im engeren Sinn sind vor allem Kinder betroffen. Nach Kontakt der Darmschleimhaut mit dem Allergen kommt es zur Bildung von spezifischen IgE-Antikörpern, die bei nachfolgenden Kontakten für eine allergische Reaktion vom Typ I verantwortlich sind.
Für das Auftreten Weizenallergie-ähnlicher Symptome im Erwachsenenalter ist die WDEIA (wheat dependent exercise induced anaphylaxis) beschrieben (1), wobei es sich ebenfalls um eine IgE-assoziierte Allergie handelt. Dabei sollen Betroffene unter normalen Umständen Weizen vertragen, in bestimmten Trigger-Situationen soll es dagegen zur typischen Symptomatik kommen. Als Triggersubstanzen / -Umstände sind z. B. körperliche Anstrengung / Sport, Alkohol, Stress, Medikamente (ASS und andere NSAID), Infektionen und hormonelle Faktoren beschrieben. Eine Assoziation zu bestimmten HLA-Typen ist Gegenstand der Forschung (2).
Empfehlung bei Start einer gluten- oder weizenfreien Diät
Die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) gibt regelmäßig sog. ‚Klug-entscheiden-Empfehlungen‘ heraus mit dem Ziel, anhand einzelner Maßnahmen sowohl Unter- als auch Überversorgung in Diagnostik und Therapie zu minimieren.
Aktuell befasst sich eine Empfehlung mit der Zöliakie-Diagnostik: Es wird angeraten, eine Zöliakie auszuschließen, wenn zur Besserung unspezifischer gastroenterologischer Beschwerden eine gluten- oder weizenfreie Diät begonnen wird. Hier heißt es: ‚….Angehörige von Heilberufen sollten daher allen Personen, die eine gluten- oder weizenfreie Diät (GFD) durchführen wollen, empfehlen, vor Diätbeginn eine Zöliakie ausschließen zu lassen ….. Dieses Vorgehen ist bei Patientinnen und Patienten mit Symptomen, zum Beispiel beim Reizdarmsyndrom oder bei Hautsymptomen, besonders wichtig. Denn die Betroffenen lehnen bei Besserung der Beschwerden durch die probatorische Eliminationsdiät eine Glutenbelastung zur Sicherung oder zum Ausschluss einer Zöliakie häufig ab. …‘
Getreide-Unverträglichkeiten unklarer Genese (Nicht-Zöliakie-Weizen-UV / ATI-Sensitivität / FODMAP-Intoleranz)
Nur schwer greifbar ist die heterogene Gruppe der Nicht-Zöliakie-Weizen-Unverträglichkeit bzw. Nicht-Zöliakie-Gluten-Sensitivität (NCGS). Häufig treten hier die Beschwerden in zeitlichem Zusammenhang mit der Aufnahme bestimmter Lebensmittel auf. Neben dem Gluten stehen hier weitere verschiedene Getreidebestandteile wie Amylase-Trypsin-Inhibitoren (ATIs) und FODMAPs (fermentierbare Oligo-, Di- und Monosaccharide und Polyole) aus Auslöser im Zentrum des Interesses.
Die Abgrenzung der verschiedenen Weizen- / Getreide-Unverträglichkeiten wird kontrovers diskutiert, Überschneidungen sind vorhanden und Gegenstand weiterer Untersuchungen.
ATI: (Amylase-Trypsin-Inhibitoren)
Die ATIs sind eine Gruppe von Cystein-reichen Polypeptiden, die in Getreiden vorkommen und Alpha-Amylase bzw. Elastase hemmen. Ebenso wie bei Gluten handelt es sich also um Proteine, die in Getreiden vorkommen. Natürlicherweise dienen die ATIs dem Schutz des Weizenkeimlings. Sie sind resistent gegen den Abbau durch intestinale Proteasen und passieren so in intakter Form den Gastrointestinaltrakt. Hier können sie, bei Überwinden der Darmbarriere, Dendritische Zellen und Makrophagen aktivieren und entzündliche Prozesse fördern.
Faustregel: Eine glutenarme Ernährung ist ebenfalls arm an ATIs.
FODMAP: (fermentierbare Oligo-, Di- und Monosaccharide und Polyole)
Die FODMAPS sind, mit Ausnahme einiger Polyole, natürliche Bestandteile meist pflanzlicher Nahrung. Mit Fermentation werden Abbauprozesse durch den bakteriellen Stoffwechsel bezeichnet. Diese finden ebenso im Rahmen der Lebensmittelherstellung (Sauerteig, Herstellung von z. B. Sauerkraut oder Kimchi) wie auch im Kolon mittels der Darmflora statt.
Oligosaccharide: z. B. Fructane (= Inuline) bestehen fast ausschließlich aus D-Fructose-Einheiten und dienen vielen Pflanzen (Analog zur Stärke aus Glucose-Einheiten) als Kohlenhydratspeicher. Fructane zählen zu den Ballaststoffen, da sie mangels spezifischer Enzyme im Dünndarm nicht gespalten und resorbiert werden können.
Disaccharide: z. B. Lactose gelangt bei Lactose-Intoleranz in den Dickdarm.
Monosaccharide: z. B. Fructose gelangt bei Fructose-Malabsorption in den Dickdarm.
Polyole: Mannit (Zuckeraustauschstoff, natürlich in z. B. Pilzen, Algen), Sorbit (Zuckeraustauschstoff, Feuchthaltemittel, natürlich in einzelnen Obstsorten, weitere Beispiele: Erythrit, Laktit, Xylit (Zuckeraustauschstoffe)
Beispiele für FODMAPS
Die Mehrzahl der sog. FODMAPS sind in pflanzlichen Nahrungsmitteln enthalten. In den letzten Jahren mehren sich die Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen FODMAPS und verschiedenen Darmbeschwerden. Die Abbildung stellt dar, dass insbesondere bei Laktose-Intoleranz oder Fructose-Malabsorption bei Zufuhr der entsprechenden Nahrungsmittel vermehrt FODMAPS in den Dickdarm gelangen und dort von der Darmflora fermentiert werden können.
Die FODMAPs werden, auch z. B. aufgrund einer Malabsorption, im Dünndarm schlecht resorbiert und im Kolon durch das Mikrobiom fermentiert. Dabei entstehen Gase (Methan, Wasserstoff, Kohlendioxid) und osmotisch aktive Verbindungen, was zu Beschwerden wie Blähung und Durchfall führen kann. Außerdem fördern sie das Wachstum gramnegativer kommensaler Bakterien, was das Epithel schädigt und zu einer subklinischen Mukosaentzündung führen kann.
Die Diagnostik stützt sich derzeit auf Auslass- und Provokationsteste. In öffentlich zugänglichen Quellen finden sich umfangreiche Listen zu FODMAP-reichen bzw. FODMAP-armen Lebensmitteln.
Im Gegensatz zur Zöliakie und zur klassischen Weizenallergie stehen hier zur Diagnostik keine laborchemischen Parameter zur Verfügung. Anamnestisch kann auch hier ein Ernährungstagebuch sinnvoll sein.
Auch Reizdarm-Patient*innen scheinen von einer Reduktion der FODMAPs zu profitieren.
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