Vitamin B12 und Anämie (Folsäure)
Zur Anämie-Diagnostik gehören unter anderem die Bestimmung der Folsäure und des Vitamin B12 - offenbar sind beide Vitamine mit einer unzureichenden Zellteilungsrate assoziiert. Die verminderte Zellteilung macht sich am ehesten in Geweben mit hoher Zellteilungsrate, also im Knochenmark, bemerkbar.
Die Rolle des Vitamin B12 bei der Zellteilung ist allerdings nicht auf den ersten Blick ersichtlich.
Die aktiven Formen des Vitamin B12 sind Methylcobalamin und Desoxycobalamin. Methylcobalamin wird für die Umwandlung von Homocystein zu Methionin (obere Reihe) eingesetzt. Für diese Reaktion wird zusätzlich ein Folsäure-Coenzym benötigt. Desoxycobalamin (untere Reihe) wird für den Abbau ungradzahliger Fettsäuren sowie für den Abbau einzelner Aminosäuren benötigt. Keine dieser Vitamin B12-abhängigen Reaktionen ist am Prozess der Zellteilung beteiligt oder für diesen Prozess nötig.
Warum führt ein Vitamin B12-Mangel dann trotzdem zu einer Anämie?
Um diesen Zusammenhang nachvollziehen zu können, muss man sich die verschiedenen Coenzyme der Folsäure genauer ansehen:
Es gibt 3 verschiedene Folsäure-Coenzyme
Die Folsäure ist der Grundbaustein für 3 ähnliche aber doch verschiedene Coenzyme. Gemeinsam ist ihnen, dass je eine C1-Gruppe (Methyl-, Methylen.- bzw. Formyl-) gebunden haben. Diese C1-Gruppe wird bei unterschiedlichen Reaktionen gebraucht.
(Anmerkung: THF = Tetrahydrofolat)
- Im N5-Methyl-THF ist am Stickstoff auf Position 5 ein Methyl-Rest gebunden.
- Im N5N10-Methylen-THF ist zwischen den Stickstoffen auf den Positionen 5 und 10 ein Methylen-Rest gebunden.
- Im N10-Formyl-THF ist am Stickstoff auf Position 10 ein Formyl-Rest gebunden.
Die drei verschiedenen Coenzym-Formen werden bei unterschiedlichen Reaktionen verbraucht. ‚Verbraucht‘ bedeutet hier, dass die jeweilige C1-Gruppe auf ein anderes Molekül übertragen wird. Die Folat-Coenzyme werden daher auch als ‚C1-Gruppen-spendende Coenzyme‘ bezeichnet.
Zwei der Coenzyme, N5M10-Methylen- und N10-Formyl-THF sind unmittelbar an der Voraussetzung für eine Zellteilung beteiligt, weil man sie für die Purin- und Pyrimidinsynthese benötigt (Bestandteile neuer DNA-Bausteine). Das Dritte der Coenzyme (N5-Methyl-TF) spendet in Kooperation mit Vitamin B12 die C1-Gruppe zur Umwandlung von Homocystein zu Methionin.
Wenn die Coenzyme verbraucht werde, entsteht aus allen Dreien das THF (Tetrahydrofolat). Auch frisch über die Nahrung aufgenommene Folsäure wird mit Hilfe der Dihydrofolat-Reduktase in THF (Tetrahydrofolat) umgewandelt.
In Bezug auf die Folsäure ist der Zusammenhang zwischen Mangel und unzureichender Zellteilung offensichtlich.
Fakten zum Zusammenhang zwischen Vitamin B12 und Folsäure
Fakt 1:
Man benötigt zwei der drei aktiven Folsäure-Formen (N10-Formyl- und N5N10-Methylen-Tetrahydrofolat) als Coenzyme für die Synthese von Purinen und Pyrimidinen. Diese werden als Bestandteile der DNA-Bausteine (dATP, dTTP, dGTP, dCTP) für die Synthese neuer DNA benötigt. Die Verdopplung der DNA muss der Zellteilung vorangehen, damit die entstehenden Tochterzellen die gleiche Menge (und Qualität) DNA besitzen wie die Mutterzelle.
Fakt 2:
Für die Reaktion von Homocystein zu Methionin wird neben dem N5-Methyl-THF zusätzlich Vitamin B12 ( in Form von Methylcobalamin) benötigt.
Fakt 3:
Jetzt ist es wichtig, sich die Regeneration der aktiven THF-Formen anzusehen. Alle ‚verbrauchten‘ Folsäure-Coenzyme landen in einem Pool. Aus diesem werden immer 100 % zunächst zu N10-Formyl-THF umgewandelt. Dann wird ein bestimmter Anteil weiter umgewandelt zu N5N10-Methylen-THF und ein bestimmter Anteil daraus zu N5-Methyl-THF. Solange alle drei Folat-abhängigen Reaktionen ablaufen - also sowohl die Purin- und Pyrimidinsynthese als auch die Umwandlung von Homocystein zu Methionin - gelangen immer wieder alle Coenzyme im THF-Pool und können wie oben beschrieben regeneriert werden.
Fakt 4:
Wenn aber aufgrund eines Vitamin B12-Mangels die obere Reaktion nicht ablaufen kann, landen die N5-Methyl-THFs nicht im THF-Pool (Abb Mitte oder 2). Der kleiner werdende THF-Pool wird aber nach dem gleichen ‚Verteilungsschlüssel‘ auf die drei Coenzym-Formen verteilt. So liegen bei jeder ‚Runde‘ mehr THFs als N5-Methyl-THF und demzufolge immer weniger als N10-Formyl- und N5N10-Methylen-THF vor. (Abb rechts oder 3). So kommt es zu einer nur noch unzureichenden Synthese von Purinen und Pyrimidinen, wodurch nur unzureichend neue DNA gebildet werden kann. Das Resultat ist eine Störung der Zellteilung.
Zusammenhang eines Vitamin B12-Mangels und einer unzureichenden Zellteilung
a) Für die Umwandlung von Homocystein zu Methionin sowohl Vitamin B12 als auch Folsäure (N5-Methyl-Tetrahydrofolat) benötigt.
b) Alle ‚verbrauchten‘ Folsäure-Coenzyme werden als THF (Tetrahydrofolat) in die Regeneration geschleust . Dabei werden die drei aktiven Formen jeweils zu einem bestimmten Prozentsatz neu gebildet.
Wenn sich aufgrund eines Vitamin-B12-Mangels das Folsäure-Coenzym N5-Methyl-THF ‚anstaut‘ und nicht der Regeneration zugeführt wird, werden von den Coenzymen N10-Formyl- und N5N10-Methylen-THF immer weniger gebildet (und immer mehr N5-Methyl-THF staut sich an). Der Mangel an N10-Formyl- und N5N10-Methylen-THF und die daraus resultierende unzureichende Bildung von Purinen und Pyrimidinen hat eine Störung der Zellteilung zur Folge, was sich in einer Anämie äußern kann.
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